Wandgemälde aus der Sprühdose

Wie ein Graffiti-Künstler aus dem MKK triste Fassaden aufwertet

Die Trafostation der Kreiswerke in der Wächtersbacher Bahnhofstraße hat eine regelrechte Verwandlung durchgemacht: vom unscheinbaren, grauen Gebäude zum farbenfrohen Hingucker. Verantwortlich dafür ist Marcel Bender. Seine Werkzeuge: Sprühdosen, ein offenes Auge für die Umgebung und viel Kreativität.

Während seiner Schulzeit nahm der heute 41-Jährige zum ersten Mal Graffiti bewusst wahr. Damals war er oft mit dem Skateboard unterwegs. Die zackig gestalteten Schriftzüge faszinierten ihn und er fand schnell Zugang zur Szene. „Anders als in vielen Vereinen spielte es da keine Rolle, was die Eltern beruflich machten oder wer eigenes Geld verdiente“, erinnert sich der gelernte Schlosser. Dabei ging es vor allem um das sogenannte „Writen“ – also darum, kantige, schwungvolle, dynamische Buchstabenfolgen auf Wände zu sprayen.

Der künstlerische Aspekt stand schon damals im Vordergrund, wie Marcel Bender betont. Voneinander lernen, eine eigene Technik entwickeln und verfeinern – das begeisterte ihn. „Natürlich spielten auch der Nervenkitzel und der Reiz des Verbotenen eine Rolle“, bekennt der Künstler, der auch unter dem Pseudonym „Modes“ bekannt ist.

Die anfangs zweidimensionalen Buchstaben wurden immer aufwendiger gestaltet und schienen dank cleverer Spraytechnik für die Betrachter geradezu aus den Wänden zu ragen. Ein 3D-Effekt, der Marcel Bender nachhaltig geprägt hat. Der heutige Vater eines Sohnes entdeckte seine Begeisterung für das Bemalen ganzer Wände mit farbenfrohen, lebendigen Motiven. Und er erkannte, dass er mit der Zustimmung der Besitzer nicht nur entspannter arbeiten, sondern auch sein Taschengeld aufbessern konnte. So entwickelte sich die Untergrundkunst für ihn zu einem ­legalen Hobby.

„Ein Teil der Szene war von der Vorstellung, seine Kunst zu verkaufen, nicht gerade begeistert“, erinnert sich Marcel Bender.

„Aber es galten trotzdem feste Regeln, die von den meisten Sprayern respektiert wurden. Zum Beispiel, dass man eine bemalte Wand nicht beschmiert oder crosst, wie man in der Szene sagt.“ Das brachte den Künstler auf eine Idee: Warum nicht gleich anbieten, Wände zu reinigen und anschließend mit ­einem vollflächigen Motiv zu bemalen? Auf diese Art wurde jede triste Fassade zu einem Hingucker und war durch die ­Regeln der Szene zugleich vor Vandalismus geschützt.

Seine Arbeit erregte einige Aufmerksamkeit und sein Können sprach sich schnell herum. So folgten bald weitere Auf­träge, beispielsweise von der Stadt Gelnhausen. Kurz nachdem er ­seine zweite Ausbildung zum Erzieher begonnen hatte, ­klingelte plötzlich sein Telefon: „Die Deutsche Bahn rief mich an und wollte ein umfassendes Graffitiprojekt für das ­Parkhaus am Bahnhof in Gelnhausen, zusammen mit Workshops und unter Einbeziehung der lokalen Szene“, berichtet Marcel Bender. Ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Wenige Monate später ging es dann um die Gestaltung der Bahnhofsunterführung in Gelnhausen. Und auch hier setzte der Künstler von Beginn an auf die Partizipation aller Graffiti-Künstler, die sich einbringen wollten.

Von Anfängern bis hin zu Profis sollte jeder eine Chance ­haben – genau so, wie er die Szene in jungen Jahren selbst kennengelernt hatte. Mit „Lack & Lines“ hob er danach eine regionale Graffitiveranstaltung aus der Taufe, die bis heute regelmäßig stattfindet. Die Idee dahinter: Die Jugend soll ihre Umgebung künstlerisch mitgestalten können und sie dadurch besser wertschätzen. Immer mehr Anfragen und Aufträge führten dazu, dass er 2020 – mitten in der Corona-Pandemie – beschloss, sich als „Farbkopf“ selbstständig zu machen und sich ganz auf seine künstlerischen Auftragsarbeiten zu konzentrieren. Dazu bietet er regelmäßig Kurse für Kinder und Erwachsene rund um Graffiti an. „Dabei erkläre ich auch die rechtlichen Konsequenzen illegaler Graffiti, die uns damals keiner erklärt hat.“

Wenn er ein Objekt sieht, das er sich als Leinwand vorstellen kann, fragt er beim jeweiligen Eigentümer an. Mit seiner Anfrage, eine Trafostation der Kreiswerke zu verschönern, lief er bei dem Regionalversorger offene Türen ein: „Tatsächlich gab es dort schon seit längerer Zeit Überlegungen dazu“, erinnert er sich. Das erste Objekt war mit der Trafostation in der Wächtersbacher Bahnhofstraße schnell gefunden. Um das bislang unauffällige Gebäude zum echten Hingucker zu machen, schlug er den Kreiswerken fotorealistische Darstellungen von Bienen, Faltern und Vögeln vor.

„Mir geht es immer ­darum, etwas zu kreieren, das sich in die Umgebung einfügt.“

Seine Ideen stimmt er vor jeder Ausarbeitung mit dem Auftraggeber ab. „Die Kreiswerke waren von dem Mikrokosmos mit seinen sehr natürlichen Motiven begeistert“, berichtet Marcel Bender. In mehreren Etappen, unterbrochen durch Sturm und Regen, zauberte der Künstler die Motive in insgesamt fünf Tagen auf die Umspannstation. Sein Vorgehen ist dabei immer gleich: Zuerst sprüht er die Hilfslinien, auch „Firstlines“ genannt, die zur Orientierung dienen. Dann folgen Schicht für Schicht vom Bildhinter- bis zum -vordergrund immer mehr Farben und Details, bis die Motive schließlich beinahe lebendig wirken.

„Zwischendurch kam ich auch mit Anwohnern ins Gespräch, manche brachten mir sogar Kaffee“, freut sich der Künstler über die Bestätigung. Das Ergebnis kommt sehr gut bei den Menschen in Wächtersbach an. Und sein nächster Auftrag für die Kreiswerke steht schon fest: 113 Quadratmeter Fläche verziert der Künstler im Auftrag des Regionalversorgers in Bad Orb – seine bislang größte Auftragsarbeit. Was dort entsteht, will er noch nicht verraten. Nur so viel: Es wird auch wieder wunderbar in die Umgebung passen.